Samstag, 1. Oktober 2011

Triest – Eine Stadt auf der Suche nach ihrer Identität

In Triest spiegeln sich die politischen, historischen und kulturellen Ereignisse Europas der letzten Jahrhunderte - eine kleine Geschichte.
Bis zu den Italienischen Unabhängigkeitskriegen im Jahre 1848 konnte man Triest als kulturellen Schmelztiegel bezeichnen: Es herrschte ein ausgeprägter Kosmopolitismus, der durch einen übernationalen Dialog geprägt war. Das erwachende italienische Nationalbewusstsein, die Auflösung des Habsburger Reichs sowie die beiden Weltkriege veränderten diese Atmosphäre radikal. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Triest ein Spielball zwischen dem Osten und dem Westen: Der Gegensatz der beiden Blöcke des kalten Krieges zeigte sich zuerst in Triest. Die Stadt, die Schnittpunkt der Kulturen war, wurde zu einer Stadt aus isolierten, voneinander getrennten Komponenten.

Triest bis 1848 – ein kultureller Schmelztiegel
52. v. Chr. war Triest eine befestigte römische Kolonialstadt mit dem Namen ‚Tergeste‘ und wichtiger militärischer Stützpunkt. Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches 476 fielen die Ostgoten, Byzantiner und Langobarden ein. 774 gelangte die Stadt als Teil der Mark Friaul unter die Herrschaft Karls des Großen. Unter Kaiser Lothar III. erhielt der Bischof von Triest weltliche Hoheit. Triest behielt seine Unabhängigkeit unter den Bischöfen bis zur Eroberung Venedigs im Jahr 1202.

Nach dem großen venezianischen Krieg (1382) stellte sich Triest freiwillig unter den Schutz von Herzog Leopold III. von Österreich und war von da an habsburg-österreichisch. Aber der Streit mit Venedig ging weiter, bis 1717 Venedig durch die Türken geschwächt war und Karl VI. das Meer sichern konnte. 1719 war Triest österreichische Hafenstadt, die durch ihre österreichischen, böhmischen und ungarischen Landverbindungen stark florierte. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung stieg die Einwohnerzahl enorm an und damit auch die ethnische Pluralität.

Ihre ‚italianitá‘ (italienische Kultur) behielt sie aber immer, welche sich vor allem in der Sprache ausdrückte: den Dialekt lernten, sprachen und liebten alle. Es entstand eine italienische Kultur, die von anderen Kulturen geprägt war. Aber diese Situation war nicht idyllisch, weil ihre einzelnen Teile im Widerspruch zueinander standen: Das Umland war slawisch, die Stadt italienisch und die Bürokratie deutsch-österreichisch. Nachdem die Stadt während der napoleonischen Kriege von den Franzosen besetzt war, wurde sie 1813 von Österreich befreit, erneut zum Freihafen und durch den Handel mit dem Osten sehr reich.

Triest in der Zeit nach 1848

Während ab 1848 in Oberitalien eine Revolution gegen die österreichische Herrschaft entbrannte und die Unabhängigkeit gefordert und erkämpft wurde, blieb Triest Österreich treu. 1867 bildet Triest zusammen mit den angrenzenden Territorien ein separates Kronland. Doch nach und nach machten sich auch hier Unabhängigkeitsbestrebungen der italienischen Stadtbewohner breit. Diese hatten 1882 ihren Höhepunkt, als ein Bombenanschlag auf Kaiser Franz Joseph I. verübt wurde, der aufgrund der 500-jährigen Dauer der habsburgischen Herrschaft Triest besuchte. Der Attentäter, Gugielemo Oberdan, gilt bis heute als italienischer Freiheitsheld. Trotz der nationalen Spannungen blühte die Stadt kulturell auf. Durch die wirtschaftliche Prosperität zählte Triest 1910 über 220.000 Einwohner vor allem italienischer, deutscher und slowenischer Ethnizität. Während die Stadt selber größtenteils italienisch blieb, war das Umland slawisch geprägt.
Als 1915 Italien in den Krieg eintrat, wollten die Triestiner zunächst noch an der Seite Österreichs gegen die Serben kämpfen. Doch schnell stand fest, dass das ‚Triestiner Problem‘ im Sinne Italiens gelöst werden musste, damit die ‚italianitá‘ überleben konnte. Bis dahin war die Italiantiät der Triestiner nur ein kulturelles Moment, danach begann es ein politisches Ziel zu werden. Am 3.11.1918 landeten italienische Truppen in Triest. Im Friedensvertrag von Saint-Germain 1919 wurde dann Triest Italien zugesprochen, wodurch sich die geopolitische Rolle Triests änderte, weil es an einen peripheren Punkt an der Ostgrenze Italiens rückte.

Nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Krieg war in Triest nicht mal ganz klar, ob man zu den Gewinnern oder Verlieren gehörte. Innerhalb weniger Jahre veränderte sich das Gesicht der Stadt radikal. Die Zeit einer in kosmopolitsche und mitteleuropäische Strukturen eingebetteten Italiantät war vorbei. Da der Stadt das österreichische Hinterland fehlte, ging der Hafen zugrunde und die italienische Regierung konnte nicht für eine funktionierende Infrastruktur und ein Tarifsystem sorgen, wodurch Handel und Industrie verfielen.
Durch die neue soziale Frage nach dem Krieg entstand in Italien der Faschismus. In Triest fand dieser durch die Enttäuschungen und Spannungen mit der slawischen Welt großen Zuspruch. Die deutschen Funktionäre gingen, wodurch Triest seine Multikulturalität verlor. Die italienische Bürokratie war voller Mängel und man wünschte sich die österreichische zurück.

Das größte Problem war aber die Slawenfrage: Die Friedensverträge sprachen Italien einen Teil zu, der von Slawen bewohnt war (43% von Venezia-Giulia waren Slawen), gegen die nach und nach Hass entbrannte. In den Jahren des Faschismus wurden slowenische und kroatische Schulen geschlossen, das Sprechen der slawischen Sprachen verboten, Nachnamen und Ortsnamen italianisiert und jegliche Art von Vereinigung und autonomer Verwaltung der Slawen verhindert. Die ethnischen Spannungen erreichten ihren Höhepunkt durch Hitlers Rassengesetze, die für Triest vielleicht gravierendere Auswirkungen hatten als andernorts. Die jüdische Gemeinschaft war eine Minderheit, aber sehr qualifiziert und einflussreich (wie beispielsweise der Schriftsteller Italo Svevo). Das einzige Konzentrationslager auf italienischem Boden (Risiera di San Sabba) war vor den Toren der Stadt Triest. Dort starben ca. 5.000 Menschen.
Während sich im Rest Italiens eine Widerstandsgruppe bildete, war die Situation in Triest komplexer: die Demarkationslinie verlief nicht nur zwischen Faschismus und Antifaschismus, sondern auch noch zwischen den einzelnen Nationalitäten. Am 8. September 1943 wurde Triest an das Reich angegliedert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Triest nicht wie das restliche Italien die Befreiung feiern. Es war von Titos Truppen besetzt (40 Tage: 1. Mai bis 12. Juni 1945), welche von den Kommunisten unterstützt wurden, was aber vom großen Teil der Italiener als eine Tragödie empfunden wurde. Das Gebiet wurde dann in zwei Zonen geteilt (Triest und Küstenstreifen zwischen Capodistria und Cittanova waren die italienische Zone A unter anglo-amerikanischer Militärverwaltung; das Hinterland war Zone B unter jugoslawischer Militärverwaltung). Seit 1954 gehört Triest zu Italien und Istrien zum ehemaligen Jugoslawien, was beispielsweise für in Istrien geborene Triestiner ein harter Schicksalsschlag war. Nach der Wiederangliederung an Italien hatte Triest an den Folgen der beiden Kriege zu leiden. Erst mit der EU-Osterweiterung und somit dem Eintritt Sloweniens in die Europäische Union verlor Triest seine geopolitische Randposition.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen